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Russia's war in Ukraine: the view of the German Catholic (in German)

10.03.2022, 15:37

"There is no such thing as neutrality. Whoever is neutral chooses the side of the oppressors.” If one takes this sentence by Desmond Tutus seriously, then it is no longer possible to look the other way, nor to weigh things up.

Der Krieg Russlands in der Ukraine

(verfasst am 01.03.2022)

Dr. Andreas-Abraham Thiermeyer, Archimandrit

Der Krieg in der Ukraine ist eine historische Zäsur auch für uns: Erstmals nach dem Balkankrieg (1991) ist ein Krieg geographisch, kulturell, politisch und wirtschaftlich so brutal in unsere Nähe gerückt. Dies löst große Betroffenheit und viele Ängste aus. Aus den Medien sind wir zwar an Kriege gewöhnt und haben uns eine „dicke Haut“ zugelegt: Es gab und gibt den Irak-Krieg, den Syrien-Krieg, den Krieg in Afghanistan, Palästina, Afrika …, aber diese Kriege und Auseinandersetzungen waren für uns Deutsche, die wir 75 Jahre ohne Krieg erleben durften, „weit weg“. Der Krieg war aber nie ganz weg. Wir haben ihn nur verdrängt! Und wir haben ebenso verdrängt, was 1953 in der DDR, 1956 in Ungarn und 1968 in der Tschechoslowakei passiert ist.

Europa erlebt jetzt einen seit 1945 beispiellosen Angriffskrieg. Russland führt einen Krieg gegen ein europäisches Land: Putin spricht der Ukraine das eigenständige Existenzrecht ab, schickt Panzer in unser Nachbarland und droht ganz Europa unverhohlen mit einer nuklearen Eskalation. Nun ist auch Deutschland aufgewacht.

Die „Linke“ ist desillusioniert, Diplomaten in der EU sind schwer enttäuscht und wütend nach ihren vielen erfolglosen Bemühungen, den Krieg doch noch zu vermeiden. Man ist ernüchtert über die vermeintlich friedliebenden Handlungen des Kremls angesichts des kaltblütigen Kalküls Putins und seines Völkerrechtsbruchs, den der Angriff auf die Ukraine zweifelsohne darstellt. Für Putin ist Täuschung, Desinformation, Propaganda, Diskreditierung des Gegners und fadenscheinige Rechtfertigung des eigenen Handelns ein wichtiges Instrument. Ausgerechnet er wirft der Ukraine „Misshandlungen und Genozid“ vor.

Die letzten Monate haben uns gezeigt, was für Putin Vertrauen, Verständigung und Verträge wert sind. Nichts! In keiner Partei hatte man zuvor so wenig „Schwierigkeiten“ mit Russland, speziell mit Putin, wie in der SPD. Alt-Bundeskanzler Schröder (SPD), der selbst am Tag von Putins Überfall noch meinte, von Fehlern auf beiden Seiten sprechen zu müssen, war nicht der einzige Sozialdemokrat, der sich zu Putins nützlichem Idioten machte. Aber er ist gewiss derjenige, der dafür am meisten Geld bekommt. „Was juckt uns die Propaganda, wenn das Gas fließt und der Rubel rollt?“

Beginn einer neuen „Ost-Politik“. In Europa und speziell in Deutschland setzt jetzt unter dem Eindruck des russischen Angriffskrieges hoffentlich ein Umdenken und eine Neudefinition bzgl. der „Ost-Politik“, v.a. der Politik mit Russland ein. Das hätte spätestens 2014 bei der Krim-Annexion schon geschehen müssen. Dasselbe gilt für unsere Kirchen: Auch sie brauchen eine neue „Ostpolitik“ dem Moskauer Patriarchat gegenüber. Das Moskauer russisch-orthodoxe Patriarchat betreibt in der Ukraine, in Afrika, gegenüber dem Patriarchen von Konstantinopel, gegenüber dem Patriarchen von Alexandrien, gegenüber der griechisch-orthodoxen Kirche in Griechenland, gegenüber der griechisch-orthodoxen Kirche in Zypern und nicht zuletzt gegen unsere griechisch-katholische Kirche in der Ukraine eine ähnlich aggressive und kolonialisierende Kirchenpolitik wie Putin im staatlichen Bereich. Es gilt nicht nur „Europa, wach auf!“ - es gilt auch „Rom, wach endlich auf!“

„Es gibt keine Neutralität. Wer neutral ist, entscheidet sich für die Seite der Unterdrücker.“ Wenn man diesen Satz von Desmond Tutus ernst nimmt, dann ist kein Wegschauen mehr möglich, auch kein Abwägen.

Die politisch und kirchlich Verantwortlichen in Europa sollten jetzt eine klare Analyse der Interventionen Russlands in Syrien vor Augen führen: Dort hat Putin bereits das „Vorspiel“ zu seinen jetzigen Aktionen in der Ukraine gemacht. An Syrien ist ablesbar, wie weit er auch in der Ukraine gehen wird, sollte er nicht durch irgendeine Aktion gestoppt werden. In Syrien setzt der Kreml mit militärischer Rücksichtslosigkeit, diplomatischem Druck, dreister Lügenpropaganda und taktischem Geschick seit Jahren erfolgreich seine eigenen Interessen durch. Und dort, wo Russland einmal den Fuß drinnen hat, da bleibt er auch.

Weil Putin 2015 auf Damaskus´ Einladung hin in Syrien intervenierte, ist sein Einsatz in Syrien – anders als der jetzige Angriffskrieg gegen die Ukraine – nicht völkerrechtswidrig. Diese Ausgangslage wollte er auch in der Ukraine schaffen: Die vorher anerkannten Gebiete der Ost-Ukraine und die Bitte um Hilfe von dort sollten für Russland eine ähnliche völkerrechtliche Ausgangslage schaffen. Das russische Vorgehen in Syrien erweist sich als eklatante Missachtung des Völkerrechts. Dies zeigt sich vor allem in der Art der Kriegsführung: Bombardierungen von Wohngebieten, gezielte Angriffe auf Krankenhäuser, Schulen und Märkte sowie der Einsatz von Brandbomben, Streumunition und Vakuumbomben in ziviler Umgebung. Die unabhängige NCO „Airwars“ berichtet von mehr als 23.000 durch Russland getötete Zivilisten in Syrien. Moskau behauptet dagegen, kein einziger Zivilist sei zu Schaden gekommen. Das russische Vorgehen in Syrien verheißt für die Menschen in der Ukraine nichts Gutes. Wir hoffen und beten, dass Kiew nicht zu einem zweiten Aleppo wird.

Was ist nötig?

  1. Eine klare Lageanalyse, bei der auch eigene Fehleinschätzungen zugegeben werden.
  2. Ein klares Zeichen der Stärke und Einheit von EU und NATO, das über bloße Symbolpolitik hinausgeht.
  3. Ein kühles Bemühen um Deeskalation, ohne ein moralisches Überlegenheitsgefühl aufzuzeigen.
  4. Die Gesprächs­kanäle müssen immer offen bleiben.

Wer ist dieser russische Präsident Wladimir Putin? Während die westlichen Politiker im Kreml noch um Frieden baten, hatte der KGB-Mann („einmal KGB, immer KGB!“) längst seinen Angriff beschlossen. Zu den Disziplinen des KGB gehört die „Maskirovka“, die Desinformationskunst, auf die der Westen schon so oft hereingefallen ist.

Putins Größenwahn. Putin ist von dem Gedanken besessen, als eine der ganz großen Figuren in die russische Geschichte einzugehen, als einer, der Russland wieder groß und mächtig gemacht und ihm in der Welt den nötigen Respekt verschafft hat. Mit dem Krieg gegen die Ukraine, die für ihn nur eine „Missgeburt der Geschichte ohne Existenzberechtigung“ ist, rückt Putin in die Nähe von Stalin. Ja, er ist gerade dabei, selbst Stalin noch zu übertreffen. Der koordinierte russische Truppenaufmarsch ist seit Sommer 2021 belegt, der Krieg gegen die Ukraine also von langer Hand geplant. Die russische Politik denkt und handelt nach dem Motto, „innere und äußere Feinde sind zu neutralisieren“. Die russische Gesellschaft ist Zeugin einer starken, deutlich sichtbaren Militarisierung geworden. Daher glaubt leider auch die Mehrheit des russischen Volkes immer noch Putins grotesker Propaganda. Die Minderheit, die gegen seinen Wahn demonstriert, erfährt Gewalt und Terror. Aber die Russen werden für den Wahnsinn ihres Präsidenten bitter büßen müssen.

Der Kreml und der Westen. Noch spottet man im Kreml, der Westen werde sich schon wieder beruhigen, ähnlich wie es nach dem Georgienkrieg und auch nach der Annexion der Krim geschehen ist. In diesen Tagen zeigt sich aber sein wahres Verständnis von Politik. Es ist das Gesetz des Dschungels: Die Welt gehört dem Stärksten, dem Brutalsten. Regelungen, die Schwächeren zu schützen, sind nur Blendwerk für die Naiven und Dummen. Dazu zählen bei Putin all jene im Westen, die auf die sanfte Gewalt des moralischen Vorbilds und auf den Sieg der Vernunft setzen, also auch wir Deutsche und unsere Regierung. Das Hauptargument bei der Begründung der konstruktiven Kollaboration mit Putin war: Sicherheit gebe es nur mit, nicht gegen Russland. Nur zusammen mit Moskau könne man die vielen Konflikte in der Welt eindämmen. Schauen wir doch genau hin! Hat der Kreml wirklich Interesse an einer sichereren und besseren Welt? Moskaus Macht beruht vor allem auf der Fähigkeit, zu spalten, Unheil zu stiften und zu vergrößern. Putin hat den Westen schon oft mit Erfolg erpresst. Dem neuesten Erpressungsversuch aber konnte und wollte sich der Westen nun doch nicht mehr beugen. Von den in der EU und der NATO vereinigten Ländern verlangte Putin, die Prinzipien der staatlichen Souveränität, der territorialen Integrität und das Gewaltverbot aufzugeben, was einer Selbstaufgabe gleichgekommen wäre. Diese Grundsätze haben Europa zu einer Epoche des Friedens und der Stabilität verholfen, die einmalig ist bzw. einmalig war.

Dieser Erpressungsversuch war nun doch zu viel. Die von EU und NATO gezeigte Einheit und Stärke dürfte Putin überrascht haben: Die eher zerstrittene EU und die seit US-Präsident Trump nicht mehr besonders angesehene NATO tun sich zusammen, sowohl zur Abschreckung als auch zur gegenseitigen Hilfeleistung, was sich gerade auch in der Lösung der Flüchtlingsfrage zeigt. Ob und wann Russland zum Frieden gezwungen werden kann und mit welchen Mitteln, das wissen wir noch nicht. Wichtige Schritte sind jedenfalls gesetzt.

Was hat Putin so größenwahnsinnig werden lassen?

Beigetragen haben dazu gewiss die Krim-Einnahme (20.2. - 26.3. 2014) und die Fallschirmjäger-Aktion Russlands am 6.1.2022 in Kasachstan. Sie zeigten, dass solche Aktionen sehr schnell von statten gehen können. Außerdem kann sich unter einem gewissen Druck und mit der entsprechenden Ideologie auch ein Bewusstseinswandel in der Bevölkerung vollziehen. Viele Krimbewohner vergleichen heute mit dem „Segen“ der russisch-orthodoxen Kirche ihren Präsident Putin mit Zarin Katharina der Großen, die von 1762 bis 1796 regierte. 1783 konnte die Zarin die Krim an Russland anschließen. Daraus leitet Putin seine „historische Mission“ ab, nämlich das „Sammeln russischer Erde“. Der „Russischen Welt“, so seine Doktrin, liegt im Gegensatz zum dekadenten Westen eine einzigartige Zivilisation zugrunde, die es zu retten gilt. In seiner Rede an die Nation betonte Putin, es gehe ihm um ein „einheitliches, historisches Russland“. Dies wollte er in der Ukraine mit einer raschen „Spezialoperation“ erledigen, die ukrainischen „Nazis“ jagen und den Westen schlagen – einen Krieg führen, der keiner sein soll.

Beigetragen hat dazu auch die russisch-orthodoxe Kirche. Staat und Orthodoxie arbeiten sehr gut zusammen. Im kirchlichen Sprachgebrauch heißt das „Symphonia“. Der Staat räumt der Kirche großen Einfluss auf das gesellschaftliche Leben ein, im Gegenzug erteilt die Kirche illegitimen Unternehmungen des Staates ihren Segen. Patriarch Kyrill bezeichnet Wladimir Putins Ära als „Wunder Gottes“. Am Vorabend der Invasion lobte der Patriarch gegenüber Putin die Kühnheit, den Mut und die Opferbereitschaft all jener, die die Wehrhaftigkeit und die nationale Sicherheit des Vaterlands durch ihren Dienst in der Truppe stärken. Der Patriarch der russisch-orthodoxen Kirche nennt den Ukrainekrieg nicht „Krieg“, vielmehr würden die russischen Soldaten in seinen Augen „tätige Nächstenliebe gemäß dem Evangelium“ betreiben und sie seien ein Beispiel der Treue zu den hohen sittlichen Idealen des Wahren und Guten. Patriarch Kyrill rief am Tag des russischen Überfalls auf das Nachbarland beide Seiten des „Konflikts“ dazu auf, alles zu tun, um Opfer unter der Zivilbevölkerung zu vermeiden. Der Patriarch erklärte zwar, dass die „sich vollziehenden Ereignisse“ sein Herz mit tiefem Schmerz erfüllten und er großes Mitgefühl mit all jenen habe, die vom „Unglück“ getroffen wurden. Vom Krieg und dessen Initiator Präsident Putin aber sprach Kyrill bezeichnenderweise nicht. Dem Präsidenten wünschte Kyrill Seelenfrieden und Gottes Hilfe bei seinem hohen Dienst am russischen Volk. Anstatt Putin ins Gewissen zu reden, nennt er die überfallenen Ukrainer „Kräfte des Bösen“. Das russisch-orthodoxe Patriarchat (Patriarch Kyrill, Außenamtsleiter Metropolit Hilarion und viele der Bischöfe…) zeigen sich immer mehr als die fünfte Kolonne des KGB/FSB (russ. Geheimdienst). Auch in der Ökumene war seitens Rom immer eines der Hauptargumente, dass es nur in einer konstruktiven Kollaboration mit dem Moskauer Patriarchat einen Fortschritt auf dem Weg zur Einheit geben könne. Tatsächlich sind aufgrund der politisch gesteuerten Interessen der russisch-orthodoxen Kirche Konflikte, Zwietracht, Hass und Leid die traurige Bilanz im kirchlichen Miteinander. Der Apparat des Moskauer Patriarchats ist ein williges Instrument des KGB/FSB.

Lobenswerter Weise gab es im Gegensatz dazu einen Appell des Metropoliten von Kiew und der Ukraine, Onufrij. Er ist zwar dem Moskauer Patriarchat unterstellt, rief aber dennoch dazu auf, den „Bruderkrieg“ zwischen dem ukrainischen und dem russischen Volk unverzüglich zu be­enden. Das ukrainische und das russische Volk seien aus der Taufe im Dnepr von Kiew hervorgegangen, so Onufrij, und der Krieg zwischen beiden wiederhole die Sünde von Kain, der aus Neid und Eifersucht seinen eigenen Bruder Abel umbrachte. Dieser Krieg sei we­der vor Gott noch vor den Menschen zu rechtfertigen, erklärte der Metropolit, der an Putin gewandt betonte, seine Kirche verteidige die Souveränität und territoriale Unversehrtheit der Ukraine. Dieser Aufruf des Metropoliten wurde von den russischen Propagandamedien sofort als „Dienst am Kriegsverbrecher Selenskyj“ bezeichnet. Ein solcher Aufruf zu einer christlichen Ethik hätte auch dem Patriarchen gut zu Gesicht gestanden, doch dazu ist er nicht mehr frei genug.

Wir hoffen und beten, dass die Ukraine nicht zu einem zweiten Syrien, Afghanistan oder Irak wird.

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